Dies ist der dritte Beitrag unserer Reihe „Zwischen Klarheit und Kopfweh“ – echte Geschichten aus dem Führungsalltag. Nach Überlastung und Meetings geht Annas Weg weiter. Diesmal geht es um das, was danach kommt – um die leisen Schritte, mit denen Veränderung wirklich beginnt.
Wir begleiten Anna dabei, wie aus Erschöpfung Achtsamkeit wird, wie kleine Routinen Halt geben und wie Verantwortung leichter werden kann, wenn sie mit Bewusstheit getragen wird.
Es sind keine großen Wendepunkte, sondern feine Bewegungen im Alltag – Momente, in denen Klarheit spürbar wird, weil sie gelebt wird. Der Text lädt ein, das eigene Führungsverhalten zu reflektieren: Wo finde ich Ruhe im Trubel? Was hilft mir, präsent zu bleiben, wenn es eng wird? Und wie kann ich Verantwortung tragen, ohne mich darin zu verlieren?
Es ist noch dunkel, als ich die Augen öffne. Der Wecker klingelt noch nicht, aber mein Kopf ist schon wach. Gedanken laufen durcheinander – Termine, To-dos, Erwartungen. Ich bleibe liegen und spüre meinen Atem. Er geht flach. Der Tag hat noch nicht begonnen – und doch fühlt er sich schon voll an.
In der Küche riecht es nach Kaffee, die Stille ist dicht und angenehm. Ich klappe den Laptop auf. Der Kalender leuchtet mir entgegen – dicht an dicht mit Einträgen. Alles scheint eng. Für einen Moment frage ich mich, wann das so geworden ist. Vielleicht kam das schleichend, bis der Alltag seine Leichtigkeit verloren hat.
Im Jour fixe mit der Geschäftsführung geht es um Zahlen, Aufgaben, nächste Schritte. Alles läuft ruhig, konzentriert, fast routiniert. Dann kommt ein neues Projekt auf den Tisch.
„Anna, das wäre etwas für Sie. Sie können das.“
Ich nicke automatisch. Noch während ich Ja sage, zieht sich etwas in mir zusammen. Kein klares Nein – eher ein leises Zögern, das ich übergehe. Nach dem Meeting bleibe ich kurz sitzen. Die Gesichter verschwinden nacheinander vom Bildschirm, und ich merke, wie mein Atem flach wird.
In der Mittagspause gehe ich hinaus. Der Himmel ist grau, der Wind kühl. Ich laufe ohne Ziel, einfach um wieder Platz im Kopf zu bekommen.
„Ich will das gut machen“, denke ich. „Ich will führen, gestalten, beitragen.“ Doch während ich das denke, spüre ich, wie meine Energie sinkt.
Ich erinnere mich an meine Kollegin, die vor einem Jahr ihre Stunden reduziert hat. Damals fand ich das übertrieben. Heute frage ich mich, ob sie etwas gespürt hat, das ich erst jetzt wahrnehme.
Am nächsten Morgen lasse ich den Laptop geschlossen. Kein Mailcheck im Halbschlaf, kein schneller Blick auf die Termine. Nur Kaffee, Licht, Stille. Für einen Moment ist der Tag weiter, fast leicht.
Doch gegen Mittag sitze ich wieder in einem Meeting, das sich endlos zieht. Stimmen überlagern sich, und irgendwann merke ich, wie ich innerlich abschalte. Ich höre mich reden und wundere mich, wie fremd meine eigene Stimme klingt. Nach dem Call bleibe ich sitzen. Ich wollte doch präsenter sein, denke ich. Und gleichzeitig weiß ich: Genau dieser Gedanke macht mich müde.
Am Donnerstag habe ich mir den Nachmittag freigehalten, um das neue Projekt zu strukturieren. Ich will Ordnung schaffen, Prioritäten setzen, endlich wieder den Überblick gewinnen. Doch nach ein paar Minuten verliere ich mich in Details. Ich öffne den Kalender, dann die Mails, dann die Notizen – alles gleichzeitig.
Ich will Klarheit – und erzeuge dabei nur noch mehr Lärm. Als ich zwei Stunden später den Laptop schließe, ist es draußen dunkel. Ich sehe mein Spiegelbild im Bildschirm – müde, aber auch wacher als sonst. Vielleicht, weil ich spüre, dass ich etwas verändern will.
Am Freitag treffe ich im Flur meine Kollegin – die mit den reduzierten Stunden. Sie fragt, wie es läuft. Ich zögere kurz und sage dann: „Viel gerade.“
Sie nickt leise und legt kurz eine Hand auf meinen Arm. „Ich kenn das – irgendwann merkt man, dass alles zu dicht geworden ist.“
Sie lächelt mich verständnisvoll an. Und irgendwie tut das gut.
Als das Wochenende beginnt und etwas Ruhe einkehrt, denke ich an das Gespräch mit meiner Kollegin zurück. Etwas daran ist hängen geblieben – vielleicht das Lächeln, vielleicht die Geste. Ohne viel nachzudenken, greife ich zu meinem Notizbuch.
Ich beginne, Gedanken festzuhalten: Wann bin ich wach und klar? Wann verliere ich mich? Was gibt mir Energie – und was zieht sie mir? Erst wirkt es banal. Doch nach und nach merke ich, dass sich etwas verschiebt. Zwischen den Worten entsteht wieder ein leiser Kontakt zu mir selbst, der im Lärm der letzten Wochen verloren gegangen war.
Ich lese die Zeilen und erkenne Muster. Es gab Momente, in denen ich zu schnell Ja gesagt oder mich verzettelt habe. Und andere, in denen ich ruhig und gesammelt blieb, klar sprechen und eine Grenze setzen konnte. Während ich sie lese, frage ich mich: Was war anders in diesen Situationen?
Ich lese die Zeilen und erkenne Muster. Es gab Momente, in denen ich zu schnell Ja gesagt oder mich verzettelt habe. Und andere, in denen ich ruhig und gesammelt blieb, klar sprechen und eine Grenze setzen konnte. Während ich sie lese, frage ich mich: Was war anders in diesen Situationen?
Beim Nachdenken wird es deutlich: An den Tagen, an denen ich mich verzettelt habe, war ich müde, sprang zwischen Themen hin und her oder wollte es allen recht machen – bis am Ende nichts wirklich fertig war. Und dort, wo ich klar sprechen oder eine Grenze ziehen konnte, war ich ausgeschlafen, vorbereitet oder hatte mir bewusst eine Pause gegönnt. Ich war innerlich sortiert und verbunden mit dem, was ich tat. Diese Beobachtungen fühlen sich ehrlich an – und richtungsweisend. Ich merke, wie aus Beobachtung langsam Orientierung wird. Und mitten in diesen Gedanken taucht eine Frage auf: Wie finde ich zurück zu dem Ort in mir, der Klarheit ermöglicht?
Ich halte inne. Diese Frage fühlt sich anders an – nicht wie eine, die sofort beantwortet werden will, sondern wie eine, die mich im Alltag begleitet.
Einige Wochen später schlage ich wieder mein Notizbuch auf. Es ist zu meinem stillen Begleiter geworden. Was ist seitdem passiert?
Mein Alltag ist fordernd geblieben. Es gibt nach wie vor Tage, an denen vieles gleichzeitig geschieht und ich mich an meinen Grenzen finde. Doch zwischen diesen Phasen ist ein Raum entstanden – klein, aber spürbar.
Am Anfang habe ich mir einfach spontan Notizen gemacht, zum Beispiel nach einem Meeting. Keine großen Erkenntnisse, sondern kurze Beobachtungen: Wie habe ich mich in der Diskussion verhalten? Wo war ich klar, wo zu schnell? Welche Reaktion der anderen hat mich überrascht oder verunsichert? Dieses Schreiben hat mir geholfen, meine Muster klarer zu sehen.
Das hat mich fünf Minuten gekostet. Am Anfang fiel es mir schwer, mir diese Zeit überhaupt zu nehmen. Es gab immer etwas zu tun, und Reflexion fühlte sich selten wie „Produktivzeit“ an. Aber ich merkte mit der Zeit, dass sich das gut anfühlt. Ich fragte mich: Was passiert, wenn ich mir regelmäßig diese Momente gönne? Also habe ich begonnen, sie bewusst einzuplanen – morgens fünf Minuten im Büro, bevor der Tag beginnt, oder abends, wenn der Laptop schon zugeklappt ist. Oft schreibe ich nur einen Satz, manchmal ein paar Zeilen. Es ist nicht immer leicht, aber ich merke, dass diese kurzen Stopps etwas verändern.
Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass Innehalten mir hilft, Prioritäten klarer zu setzen – für mich und mein Team. Ich nehme mir kurz Zeit, bevor ich zusage oder entscheide, und achte darauf, in Gesprächen wirklich präsent zu sein. Auch ein Atemzug vor einer Antwort verändert etwas – er schafft Raum, bevor der Tag mich wieder einholt. Ich sage nicht grundsätzlich weniger Ja, aber bewusster. Was braucht es wirklich? Was ist jetzt dran? – diese Fragen helfen mir, Verantwortung zu übernehmen, ohne mich zu verlieren.
Natürlich ist das nicht immer einfach. Es gibt Tage, an denen das Tempo mich wieder mitreißt. Doch diese Phasen dauern kürzer. Ich erinnere mich dann an mein Notizbuch, an die kurzen Momente der Klarheit – und beginne von Neuem.
Ich stehe noch am Anfang. Vieles bleibt herausfordernd, manches gelingt, anderes nicht. Aber genau darin liegt für mich Führung: im Üben, nicht im Wissen. Vielleicht ist das der Weg, auf dem Klarheit wieder entstehen kann – Schritt für Schritt, Entscheidung für Entscheidung.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Elfsight. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen